Rom am 22. August 1855
Hochverehrter Herr,Der Verleger Heinrich Brockhaus (1804–1874) war ein Sohn des Verlagsgründers Friedrich Arnold Brockhaus (1772–1823), der den Verlag F. A. Brockhaus 1817 in Leipzig angesiedelt und um eine Buchdruckerei erweitert hatte. Heinrich Brockhaus begann bereits im Alter von 15 Jahren eine Lehre im väterlichen Betrieb, dessen Leitung er nur wenige Jahre später übernehmen musste – gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich Brockhaus (1800–1865), der bis 1849 Geschäftsführer der Druckerei war, bevor er mit einer Abfindung aus dem Familienunternehmen ausschied (er war mit einer Schwester von Richard Wagner verheiratet, ebenso wie der dritte Bruder, der Orientalist Hermann Brockhaus [1806–1877]). 1850 trat Heinrich Brockhaus’ Sohn Eduard (1829–1914) in den Verlag ein, zunächst als Lehrling, ab 1852 als Prokurist und ab 1854 als Teilhaber. 1863 wurde auch der zweite Sohn Rudolf (1838–1898) Teilhaber. Heinrich Brockhaus eignete sich autodidaktisch ein großes Wissen in Literatur und Kunst an und erlernte mehrere Fremdsprachen. Er gründete den Leipziger Kunstverein und trug eine Sammlung von Ölgemälden, Zeichnungen und Kupferstichen zusammen. Er führte lebenslang Tagebücher, auch auf seinen zahlreichen gut vorbereiteten, ausgedehnten Reisen in Europa bis nach Nordafrika und in den Orient, die er zudem zur Pflege und Anbahnung seiner verlegerischen Kontakte zu nutzten wusste (von seinem Sohn Rudolf wurden 1884–1887 fünf Bände „Aus den Tagebüchern von Heinrich Brockhaus“ herausgegeben; die Manuskripte sind verloren, Neudruck Erlangen 2003–2018). Politisch engagierte Brockhaus sich schon vor seiner Mitgliedschaft im Frankfurter Vorparlament (1848) in buchhändlerischen Ausschüssen und Vorständen, als Mitglied des Sächsischen Landtags und Angehöriger des Leipziger Stadtparlaments für soziale Belange sowie als Vorstandsmitglied des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler für Urheberrechtsfragen. Bestens vernetzt war Brockhaus auch durch verwandtschaftliche Bande: Er selbst war seit 1827 mit Pauline, geb. Campe (1808–1886), einer Nichte des Hamburger Verlegers Julius Campe (1792–1867), verheiratet. Brockhaus’ Tochter Helene (1835–1909) war die Ehefrau des Braunschweiger Verlegers Heinrich Vieweg (1826–1890). Brockhaus wusste das erfolgreiche Lebenswerk seines Vaters den sich wandelnden Erfordernissen des Marktes anzupassen und das Unternehmen zu einem der führenden deutschen wie auch international agierenden Verlag auszubauen. Das „Conversations-Lexikon“ wurde mit dem Erwerb der Buchhandlung Johann Friedrich Gleditsch (1831) durch das riesige lexikographische Unternehmen der „Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste“ (1818–1889) ergänzt. Weitere enzyklopädische Nebenreihen wie „Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände“ (1848–1856) und „Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart“ (1857–1891) wurden gegründet, aber auch literarische Zeitschriften wie die „Blätter für literarische Unterhaltung“ (1826–1891). Das „Deutsche Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben“ (1851–1867) übernahm Brockhaus 1853 von der J. C. Hinrichs’schen Buchhandlung. Unter seiner Leitung wurden erfolgreiche Reihen wie das „Historische Taschenbuch“ (1830–1892) und die Sammlung von Kriminalgeschichten, „Der neue Pitaval“ (1842–1890) begonnen. Zum literarischen Verlagsprogramm gehörten Reiseliteratur, Memoiren, Tagebücher und Briefwechsel. Einträglich waren auch Ausgaben aus dem Nachlass von Ludwig Tieck (1773–1853), Johann Peter Eckermanns (1792–1854) „Gespräche mit Goethe“ und zahlreiche Erfolgsautoren wie Friedrich Raumer (1781–1873) und Karl Gutzkow (1811–1878) sowie Arthur Schopenhauer (1788–1860), der erst lange nach dem Erstdruck seines Hauptwerks bei Brockhaus, „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (1819), berühmt geworden war. Die Möglichkeiten der neuen Massen-Reproduktionstechniken erkennend, gründete Brockhaus 1855 die lithographische und 1857 die xylographische Anstalt F. A. Brockhaus. 1864 eröffnete er eine Filiale in Wien, 1871 in Berlin. Von der Universität Jena wurde Brockhaus 1858 die Ehrendoktorwürde verliehen, 1872 die Ehrenbürgerschaft von Leipzig. Heinrich Brockhaus hatte 1854 mit Gregorovius Kontakt aufgenommen: Nachdem von den „Blättern für literarische Unterhaltung“ sein Beitrag „Ein Blick in die romanische Literatur Siciliens“ angenommen worden war, hatte ihn der Verleger mit einer historisch-statistischen Arbeit für „Die Gegenwart“ beauftragt (Das Königreich beider Sicilien in seinen gegenwärtigen Zuständen; siehe den Brief von Gregorovius an Heinrich Brockhaus vom 6.1.1855). Mit der Verlagsannahme des dann „Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien“ genannten Bandes (1856), den Cotta nach dem buchhändlerischen Misserfolg seines „Corsica“ (1854) abgelehnt hatte, sind die Briefe von Gregorovius zunächst von Dankbarkeit geprägt – glaubte er doch, für seine zahlreichen geplanten Schriften einen Stammverlag gefunden zu haben (siehe den Brief von Gregorovius an Heinrich Brockhaus vom 22.8.1855), zumal rasch hintereinander seine „Lieder des Giovanni Meli von Palermo“ (1856), „Die Grabmäler der Römischen Päpste“ (1857) und „Euphorion“ (1858) folgten. Den Verlag seines späteren Hauptwerks, der „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ (1859–1872), dessen Konzept er Brockhaus mit seinem Schreiben vom 8. März 1858 übersandte, wurde indes abgelehnt, so dass Gregorovius es am 20. Mai 1858 Johann Georg Cotta von Cottendorf (1796–1863) zum Verlag anbot. Die Verlagsgeschäfte führte in dieser Zeit allerdings Eduard Brockhaus, weil der Seniorverleger Ende Januar 1857 an einer Myokarditis erkrankt war und sich dann vom Herbst 1857 bis Mitte 1859 auf Reisen in Ägypten, Palästina, Syrien, Griechenland und Italien zu erholen suchte. Auf seiner Rückreise über Sizilien (siehe den Brief von Gregorovius an Lionardo Vigo vom 14.12.1858) und Rom traf Gregorovius Heinrich Brockhaus im März 1859 erstmals persönlich, wo er befand, er sei „ein lebenskräftiger und einfacher Mann“ (siehe RT, 2.4.1859, S. 78). Nach dieser ersten Begegnung wurden auch die Briefe von Gregorovius zunehmend verbindlich, zuweilen fast freundschaftlich. Brockhaus trug Gregorovius – vermutlich bei ihrem nächsten Treffen am 31. Juli 1860 in Leipzig – eine Fortsetzung seiner überaus erfolgreichen italienischen Reiseessays an, den „Siciliana“ (1861). Für ein verdoppeltes Honorar konnte er Gregorovius, der immer wieder erklärte, „den Sinn für diese Dinge verloren“ zu haben, auch zu einem weiteren Band veranlassen: Die „Lateinischen Sommer“ (1864) erschienen nunmehr unter dem Reihentitel „Wanderjahre in Italien“, die noch bis 1913 in diesem Verlag in zahlreichen Auflagen nachgedruckt wurden (siehe die Briefe von Gregorovius an Heinrich Brockhaus vom 13.9.1860, 10.1.1863 und 10.3.1863). Einen Beitrag zum Raumerschen „Historischen Taschenbuch“ lehnte Gregorovius am 6. August 1864 zwar ab, lieferte aber ab 1873 mehrere Artikel für das „Conversations-Lexikon“. Am 2. Mai 1865 empfahl Gregorovius den erneut nach Italien reisenden Brockhaus Michele Amari (1806–1889) als einen der ersten Verleger Deutschlands zur Teilnahme an den Dante-Festlichkeiten zum 600. Geburtstag des Dichters in Florenz (siehe den Brief von Gregorovius an Eduard Brockhaus vom 27.6.1865). Kurz nachdem im Sommer 1869 ein persönliches Treffen in der Schweiz nicht zustande kam, regte Gregorovius selbst einen vierten Band der „Wanderjahre in Italien“, „Von Ravenna bis Mentana“ (1871), an (siehe den Brief von Gregorovius an Brockhaus vom 31.12.1869). Mit dem Verkaufserfolg stiegen auch die Honorarforderungen von Gregorovius stetig, der den Verlag ab 1872 um den Ankauf von Wertpapieren in seinem Namen ersuchte. Ein letztes Mal sahen sich Gregorovius und Brockhaus im August 1873 in Traunstein, als der Verleger ihn auf einer von Mitte Juni bis Ende Oktober 1873 unternommenen Erholungsfahrt in Süddeutschland dort besuchte (siehe den Brief von Gregorovius an Brockhaus vom 9.10.1873). – Von ihrer Korrespondenz sind 52 direkt an Heinrich Brockhaus gerichtete Schreiben von Gregorovius aus den Jahren 1855 bis 1874 erhalten, während von den (sicher von Gregorovius selbst vernichteten) Gegenbriefen nur ein einziges Schreiben von 1862 (als Durchschlag) nachweisbar ist. Im ehemaligen Brockhaus-Archiv (heute im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig) haben sich rund 330 Briefe von Gregorovius an Heinrich, Eduard und Rudolf Brockhaus sowie an den F. A. Brockhaus Verlag oder an einzelne Mitarbeiter erhalten. Sie werden hier erstmals in repräsentativer Auswahl ediert und umfänglich kommentiert. Die Briefe gewähren einen detaillierten Blick in die Werkstatt des freischaffenden Schriftstellers und Historikers (zumal mit den im Erstdruck nur unvollständig und oft gekürzten Briefen an Cotta, für die jetzt die nahezu vollständig in Briefkopierbüchern überlieferten Gegenbriefe für die Kommentare berücksichtigt wurden).
heute habe ich Ihr freundliches Schreiben vom 13. diesen Monats erhalten, und eile es zu beantworten. Obwol es mich nicht meiner Wünsche ganz sicher gemacht hat, so hat es mir doch die feste Überzeugung Ihrer wolwollenden Teilnahme gegeben, mich beruhigt und zum Dank gestimmt.Gregorovius hatte Brockhaus mit seinem Brief vom 19. Juli 1855 das Manuskript seines Bandes „Pandora, eine Sammlung kleiner Schriften aus Italien“ übersandt und zum Verlag angetragen; den ablehnenden Brief von Johann Georg Cotta vom 11. Juli 1855 (h: DLA Marbach, Cotta-Archiv, Gelehrten-Copirbuch IV, 328) hatte er beigelegt. Brockhaus nahm das Manuskript an, das 1856 unter dem Titel „Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien“ gedruckt wurde.
Ich werde mich also nicht scheuen, Ihrer eigenen Aufforderung gemäß von mir und meiner Lage oder Plänen zu reden, und werde mich so kurz faßen, als möglich.
Laßen Sie mich daher sagen, daß ich im Frühjahr 1852 nach Italien ging, einem nicht abzuweisenden Zuge meiner Natur folgend, gänzlich mittellos, bis auf eine geringe Summe, die mir ein hochherziger Freund darlieh, dem ich nacheilte, und den ich zu Livorno schon im Grabe wiederfand.Der Maler Ludwig Bornträger (*1828), der mit seiner Mutter, der Verlegerwitwe Klara Bornträger (1801–1887), nach Italien gegangen war, um sich von einer Lungenerkrankung zu erholen. Er war daran am 5. April 1852 in Pisa verstorben und in Livorno beerdigt worden (siehe den Brief von Gregorovius an Bornträger vom 30.11.–2.12.1851 in Johannes Hönig: Ferdinand Gregorovius der Geschichtschreiber der Stadt Rom. Stuttgart, Berlin 1921. S. 193–196). Ich habe auf das Schicksal vertraut, welches redliches Bemühen am Ende doch nicht untergehn läßt, und meine Tage mit der Arbeit hingebracht. Sie kennen nun die Resultate davon, „Corsica“ und so mancherlei Anderes. Meine Hoffnung auf Cotta, dem ich seit Jahren für die Augsburger Zeitungund seine Journale Studien gab, welche doch immer so viel wert waren, daß sie aus eben diesen Journalen auch in andere ausländische übersetzt wurden, nun diese Hoffnung schlug fehl. Ich habe so schmerzlicher Erfahrung nichts entgegenzusetzen als das Bewußtsein, sie nicht verschuldet zu haben. Ich weiß, daß ich besser im Vaterlande fahren würde, wenn ich meine Grundsätze der Mode des Tags opferte, nichts als Romane schriebe oder Geschichten aus dem demi-mondeFrz.: Halbwelt. der Gegenwart, welche eine Minute lang den Gaumen des Publicums kitzeln, um dann für ewig vergeßen zu werden. Auch habe ich nie gelernt, in den Vorzimmern der Journalisten zu stehn und um ihre Gunst zu ambiren; noch habe ich je um Connexionen des Staates oder Privater mich bewerben können. Was ich errungen habe, verdanke ich mir allein, und in diesem Sinne werde ich mein übriges Leben lang handeln müßen.
Als Sie mir, geehrter Herr, in diesem Frühjahr die Aufforderung gaben, jene kleine Arbeit über die beiden Sicilien zu liefern,Den letzten Teil des Manuskripts seines von Heinrich Brockhaus gewünschten Artikels „Das Königreich beider Sicilien in seinen gegenwärtigen Zuständen“ hatte Gregorovius mit seinem Schreiben vom 28. April 1855 übersandt (siehe auch den Brief von Gregorovius an Brockhaus vom 6.1.1855). Der Beitrag war in „Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände“ zum Abdruck gekommen (Bd. 11. Leipzig: Brockhaus 1855. S. 149–189 – unter dem Titel „Neapel und Sicilien vom Jahr 1830 bis 1852“ wurde S. 164–189 aufgenommen in seine Siciliana. Wanderungen in Neapel und Sicilien. Leipzig: Brockhaus 1861). sagte mir gleich eine innere Stimme, | 1v|daß ich dies als einen Wink des Schicksals zu betrachten habe, welches mich von meinen Beziehungen zu Süddeutschland (Stuttgart) wieder zurück zu dem Norden zu führen beabsichtige. So ist es geschehn, und ich bin, gleichsam als Schutzflehender, zu Ihnen, mein Herr, gekommen und habe Sie gebeten, sich eines Mannes anzunehmen, der Ihnen zu bieten hat eine rechtliche Gesinnung, ein mittelmäßiges Talent, und seine Arbeit, so gut, als er sie vermochte.
Ich weiß wol, daß die Stellung eines Mannes, welcher eines der größesten Institute der literarischen Welt leitet, eine zwiefache ist, die Förderung des eigenen Geschäfts und die Förderung der Literatur. In diesem Sinne, daß der Schriftsteller nicht berufen sei, das Letztere allein auf Kosten des Erstern zu verlangen, habe ich Ihnen beide Artikel angetragen und Sie ersucht, das Honorar zu stellen.Gregorovius hatte am 19. Juli 1855 zudem die Übersendung des Manuskripts der Buchpublikation seiner „Lieder des Giovanni Meli von Palermo“ (1856) angekündigt, die er am 21. Juli 1855 schickte (siehe RT, 23.7.1855, S. 56). Auch dieses Manuskript wurde von Brockhaus angenommen und erschien mit einer 35-seitigen Einleitung 1856. Wären beide Bücher schlecht, oder interesselos, so würde ich es nicht gewagt haben; sind sie nicht dem augenblicklichen Bedürfniße des Publicums entsprechend, so urteilten Sie doch selbst, daß sie ihr Publicum haben müssen, und daß sie Gegenstände enthalten, deren Wert nicht eine vorübergehende Richtung des Geschmacks bestimmen darf. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Neues zu geben, so viel ich kann, und dieses in einer Form und Sprache, welche mir die Kritik wird anerkennen müßen, denn nicht umsonst will ich mir im Süden den Formensinn gebildet haben.
Laßen Sie mich demnach, geehrter Herr, zuerst von der Pandora sprechen; und erlauben Sie mir allein, auf solche Darstellungen aufmerken zu dürfen, wie der Ghetto und die Juden in Rom,Der vermehrte Erstdruck seines Artikels „Der Ghetto und die Juden in Rom“ (aus Beilage zu Nr. 250, 252, 255, 259, 264 der Allgemeinen Zeitung. Augsburg: Cotta 7., 9., 12., 16., 21.9.1853; siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 27.5.1855). wie Capri Ein verkürzter Erstdruck war in den „Jahrbüchern zu Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völker-, und Naturkunde“ abgedruckt worden (Bd. 1. Hildburghausen: Bibliographisches Institut – New York: Paul Bernhard 1856. S. 62–116). – Unter dem Titel „Die Insel Capri“ nahm er den Aufsatz in seinen „Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien“ auf (Leipzig: Brockhaus 1856; siehe auch den Brief von Gregorovius an Cotta vom 27.5.1855).und die römischen Figuren„Römische Figuren“ (aus Beilage zu Nr. 141, 146, 153, 154, 157, 158, 161, 163 der Allgemeinen Zeitung. Augsburg: Cotta 21., 26.5., 2., 3., 6., 7., 10, 12.6.1853; siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 27.5.1855). sind, welche doch nicht ungründliche geschichtliche Studien mit der belletristischen Fassung vereinigen, so daß ich glauben muß, ihr Leserkreis müßte größer sein, als Alfred von Reumonts bei Decker in Berlin schon im 4. Bande erschienenen Beiträge zur Geschichte Italiens.Alfred von Reumonts „Beiträge zur italienischen Geschichte“ (4 Bde. Berlin: Decker 1853–1855). Bis 1857 erschienen noch zwei weitere Bände dieser Aufsatzsammlung (siehe auch den Brief von Gregorovius an Reumont vom 29.5.1855). Ich hatte kaum Herrn Constable in Edinburg von diesem Bande geschrieben, als er mir sofort den englischen Verlag anbot, und er wartet bereits auf die Druckbogen.Dem Verleger Thomas Constable (1812–1881), siehe den Brief von Gregorovius an Brockhaus vom 19. Juli 1855. Sie sehen, mein verehrter Herr, mir spielt die Ironie arg genug mit, denn was sonst Schriftsteller | 2rals ein hohes Ziel ihrer Wünsche betrachten, eine Übersetzung im Auslande, ist mir nun sofort im voraus versichert,Die erste englische Übersetzung aus den späteren „Wanderjahren in Italien“ erschien erst 1879 in Amerika unter dem Titel „The Island of Capri“ (From the German, by the Author’s Permission by Lilian [Freeeman] Clarke [1842–1921]. Boston: Lee & Shepard 1879). während die zu übersetzenden Schriften noch vor den Thüren des Vaterlandes stehen müßen. Es war meine Absicht, dem 1. Bande der Pandora einen zweiten folgen zu laßen, welcher lediglich interessante Darstellungen aus dem Papstleben enthalten sollte, das Leben Eugens IV,Der aus Venedig stammende Gabriele Condulmer (1383–1447) war als Eugen IV. 1431 bis 1447 Papst. den Roman der Donna Olympia,Olimpia Maidalchini-Pamphilj (1591–1657) hatte 1612 Pamphilio Pamphilj (1563–1639) geheiratet und war damit die Schwägerin des Kardinals Giovanni Battista Pamphilj (1574–1655, 1644–1655 Papst Innozenz X.) geworden, über den sie sich großen politischen Einfluss und als seine Universalerbin großen Reichtum sicherte (siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 27.5.1855). die Grabmäler der PäpsteGregorovius’ „Die Grabmäler der Päpste“ waren im Erstdruck in der „Allgemeinen Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur“ gedruckt worden (Jg. 5. Braunschweig: Schwetschke & Sohn 1854. S. 645–684). – Sie erschienen schließlich selbständig in überarbeiteter Form unter dem Titel „Die Grabmäler der Römischen Päpste. Historische Studie“ (Leipzig: Brockhaus 1857; siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 27.5.1855). etc. Die Bezeichnung 1. Band wird fortfallen, wenn Sie es wollen, der Titel wird gleichfalls verändert werden. Was nun das Honorar betrifft, so sehn Sie, daß ich in der Lage jedes Mannes bin, welcher von seinen Arbeiten lebt, und einzig und allein auf den Ertrag dieser angewiesen, verderben muß, wenn dieser ausbleibt. Und ich wüßte wahrlich nicht was beginnen, wenn ich meine Arbeiten nicht verwerten könnte. Ich glaube, daß Sie meine Ansprüche für billig erachten werden, wenn ich Sie bitte, mir für diesen Band die Summe von 150 Thalern (hundert und fünfzig Thaler preußisch) zu geben und sie mir nach Annahme des Buches zahlen zu wollen. Wahrlich, ich traure, daß unsre Verhältniße in Deutschland solcher Art sind, und nicht anders sein können, aber ich will mich meiner Dürftigkeit nicht schämen, denn sie ist nicht und soll nicht ohne Wert und Würde erscheinen.
Für die Lieder des Giovanni Meli wäre es ewig schade, wenn sie nicht der Förderung Ihres Verlages teilhaftig werden sollten. Würden sie dieses Mißgeschick haben, so wäre ich gezwungen, Herrn Carl Witte dafür zu interessiren.Der in Halle lehrende Jurist und berühmte Dante-Forscher Carl Witte (1800–1883) hatte in der von Alfred von Reumont (1808–1887) herausgegebenen Zeitschrift „Italia“ einen Aufsatz „Ueber den Minne-Gesang und das Volkslied in Italien“ publiziert und dort auch die Übersetzung eines Liedes von Giovanni Meli wiedergegeben (Bd. 1. Berlin: Dincker 1838. S. 105–154, hier S. 147, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10078397?page=164,165). Zudem hatte er Giovanni Boccaccios (1313–1375) „Il Decamerone“ (Venedig 1470) ins Deutsche übertragen (Das Dekameron von Boccaccio. Aus dem Italienischen übersetzt von Karl Witte. 3 Bde. Leipzig: Brockhaus 1843). Witte war mehrfach länger in Italien, Gregorovius lernte den „Dante-Uebersetzer und Hohenpriester des Dantekultus“ wohl erst im Herbst 1868 persönlich kennen (siehe RT, 5.10.1868, S. 253). Aber ich hoffe, weil Sie ja selbst den Wert dieser höchst originellen Poesien kennen; und in Wahrheit finden sie unter den vielen Dichtern, welche die Deutschen übertragen, wenige ihres gleichen. Weil diese Dichtungen in Deutschland noch unbekannt sind, um desto mehr, glaube ich, wird ihre Ausgabe Ihrem Institut und mir zum Verdienste angerechnet werden; und weil sie einen bleibenden Wert haben, haben sie auch immer und noch nach Jahren ein Publicum. Ich fordere dreist meine Landsleute heraus, den Meli noch einmal zu übersetzen, denn schwerlich werden sich mehre finden, welche diese Mühe übernehmen würden, in die Schwierigkeiten des sicilianischen Dialekts einzudringen. Sie gönnen mir, verehrter Herr, die Freude, hier der Literatur | 2veinen Dienst geleistet zu haben, und nicht soll hier die saure Arbeit in Anschlag kommen. Meine Wünsche in Betreff des Honorars für diesen Band, sind 100 Thaler (hundert Thaler).
Indem Sie mich mit Wolwollen fragen, welches meine andern Pläne sind, so gereicht mir dieses zum Troste, zu erkennen, daß Sie außer geschäftlichen Beziehungen noch eine wolthuende Teilnahme mir schenken, welche mir nun doppelt wert ist.
Ich habe eben eine Dichtung vollendet: Euphorion, eine Dichtung aus Pompeji in vier Gesängen;Zu seiner Versdichtung „Euphorion“ war Gregorovius im Sommer 1853 bei einem Besuch in Neapel und Pompeji angeregt worden. Zunächst hatte er sie im Januar 1854 als Prosanovelle begonnen, die den Titel „Der bronzene Kandelaber“ trug (siehe RT, 31.1.1854, S. 53). Sein hier vor dem Abschluss stehendes Manuskript erschien erst 1858 unter dem Titel „Euphorion. Eine Dichtung aus Pompeji in vier Gesängen“ bei Brockhaus. sie ist nicht mythologischen Inhalts, sondern rein menschlichen, und hat zum Hintergrunde und zur Scene für ihre Geschichte den Untergang der Stadt. Dies ist mir das liebste, was ich geschrieben habe, und das reinste in der Form; und sehe ich, was aus Deutschland an Poesieen herüberkommt, so macht es mir ein wenig Mut. Ich schreibe es Ende August ab, und das Gedicht, nur 90 Seiten stark, könnte schon zu Weihnachten erscheinen. Wenn Sie mir Mut machten, es ansehn zu wollen, so würde ich es Ihrer Prüfung vorlegen, und ich würde sicher sein, daß es Ihnen nicht mißfiele.
Diesem Gedicht folgt eine Erzählung aus den Bergen Corsicas in drei Romanzen, und etwa 100 Seiten stark. Damit hoffe ich den Winter fertig zu werden.Gregorovius hatte bereits 1852 sein nie erschienenes korsisches Drama „Sampiero“ geplant (siehe RT, 10.11.1852, S. 45). Über den korsischen Freiheitskämpfer und Volkshelden Sampièro di Bastelìca, Herr von Ornano, auch Sampiero d’Ornano oder Sampiero Corso (1497–1567) hatte er im Februar 1853 unter dem Titel „Sampiero. Ein Heldenbild aus der Geschichte der Corsen“ einen Artikel in der „Allgemeinen Zeitung“ publiziert, der leicht verändert in sein „Corsica“ (2 Bde. Stuttgart: Cotta 1854) eingegangen war (Bd. 1. S. 34–53).
Es war meine Absicht, mit dem Erlöse jener in Ihren Händen befindlichen Manuscripte noch einmal nach Sicilien zu gehn, um dort mein culturhistorisches Werk über Sicilien durch einige Studien in den Benedictinerbibliotheken zu vervollständigen,Gregorovius ging vorerst nicht mehr nach Sizilien; seine ab 1854 vor allem in Blättern von Cotta erschienenen Artikel über Sizilien wurden als Buchpublikation zusammengefasst in seinen „Siciliana. Wanderungen in Neapel und Sicilien“ (Leipzig: Brockhaus 1861, ab der 2. Aufl. 1865 als Bd. 3 der „Wanderjahre in Italien“). Ich schiebe diesen Plan jetzt bis zum kommenden Jahre auf, dann also brauche ich noch 1 ½ Jahr, um diesen Abschluß meines italienischen Lebens mit diesem Werke zu vollenden. Ich habe schon umfaßende Studien gemacht und die meisten Partieen geschrieben. Es enthält dieses Werk in ganz populärer Darstellung alle Perioden Siciliens: Die hellenische, die saracenische, normannische, romanische, mit vollständiger Beziehung auf die Denkmäler jeder Periode, auch auf die Literatur. Es wird drei mäßige Bände haben. Es fehlte eine solche culturhistorische Darstellung Siciliens vollständig. Auch hiefür hat mir Herr Constable seinen Verlag angetragen. Ich mache Ihnen, geehrter Herr, diese Mitteilung, um, wenn der Gegenstand Ihnen versprechend scheint, in der Folge dieserhalb in Unterhandlung zu treten. Eine Reise in | 3rden Orient beabsichtige ich nicht, eher unter die Pyramide des Cestius zu meinem Freunde Shelley.Auf dem Protestantischen Friedhof (Cimitero acattolico) Roms an der Cestius-Pyramide, dem Grabmal des 12 v. Chr. verstorbenen römischen Prätors und Volkstribuns Gaius Cestius Epulo, ist der im Meer bei Viareggio ertrunkene, berühmte romantische Dichter und Schriftsteller Percy Bysshe Shelley (1792–1822) beigesetzt worden.
Dieses ist, hochverehrter Herr, was ich mit dem offensten Vertrauen Ihnen mitteilen mußte. Ich schließe nun diesen Brief, und indem ich Ihnen nochmals für die freundliche Weise danke, mit welcher Sie mir entgegengekommen sind, so wünsche ich Ihren Gesinnungen mich und meine Angelegenheiten zu empfehlen,mit großer Hochachtung
Ihr immer ergebener
F. Gregorovius.