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Gesamtdatenbank
der Korrespondenz
Hrsg. Angela Steinsiek
Ferdinand Gregorovius an Franz Rühl in Königsberg
München, 22. März 1891


DE
Er übersendet insbesondere an Elise Rühl Beileidswünsche, weil sie ihre Mutter Elise Henle kurz nach ihrer Geburt verloren hat. Anna und Hans Bujack haben ihm vom plötzlichen Ableben ihres Vaters Georg Bujack berichtet. Beiliegendes Billett bittet er an die offenbar noch unverheiratete Anna Bujack zu schicken, deren Adresse er nicht kennt. Sein Bruder Julius erholt sich nur langsam nach seiner schweren Krankheit. Er selbst hat Influenza und leidet unter furchtbaren Kopfschmerzen, so dass er nichts arbeiten kann. Der Geschwister wegen kann er München nicht verlassen. Den vierten Band seiner „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ in vierter Auflage (1890) hat er hoffentlich erhalten. Den Abschluss dieser Auflage wird er nicht mehr erleben.

EN
He sends condolences to Elise Rühl in particular because she lost her mother Elise Henle shortly after her birth. Anna and Hans Bujack told him about the sudden death of their father Georg Bujack. He asks to send the enclosed note to the apparently still unmarried Anna Bujack, whose address he does not know. His brother Julius is only slowly recovering after his serious illness. He himself has influenza and suffers from terrible headaches, so he cannot work at all. He cannot leave Munich because of his siblings. He has hopefully received the fourth volume of his „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ in the fourth edition (1890). He will not live to see the completion of this edition.
| 1r

München, 22. März 1891.

Lieber Freund,

Gregorovius und Rühl hatten sich im Frühjahr 1868 in Rom kennen und schätzen gelernt. Rühl war für historische Studien nach Italien gekommen, ohne noch feste Pläne über seine fernere Laufbahn gefasst zu haben. Die etwa achtzig im Nachlass von Franz Rühl erhaltenen Briefe und Postkarten von Gregorovius an Rühl aus den Jahren 1868 bis 1891 zeugen von ihrem freundschaftlichen, zuweilen nicht spannungsfreien Verhältnis. Der mehr als zwanzig Jahre ältere Gregorovius war Rühl ein väterlicher Ratgeber und Mentor, der an dem Jüngeren das große „Wissen im Fach der Philologie und Geschichte“ schätzte (RT, 29.5.1870, S. 282). Von einer wissenschaftlichen Karriere versuchte ihn Gregorovius der unsichereren Zukunftsaussichten wegen abzubringen, doch kam Rühl im November 1869 bis zum Mai 1870 – unzufrieden mit seinen zwischenzeitlichen Anstellungen als Privatlehrer in Hamburg und am Schleswiger Gymnasium – erneut nach Rom. Finanziert wurde der zweite Romaufenthalt von Rühl vermutlich von seinen Korrespondenten-Beiträgen für die Berliner „National-Zeitung“, die Gregorovius im Herbst 1869 nach fast zehn Jahren aufgegeben hatte. Zudem stand im Frühjahr 1870, als Rühl nach Deutschland zurückkehrte, fest, dass dieser das Gesamtregister von Gregorovius’ „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ (8 Bde. Stuttgart: Cotta 1859–1872) übernehmen würde (siehe ebd., 29.5.1870, S. 282). Wegen Rühls 1871 in Leipzig abgeschlossener Habilitation und seiner Übersiedlung nach Dorpat wurde die Arbeit daran zwar immer wieder unterbrochen, doch konnte sie noch rechtzeitig mit dem Druck letzten Bandes fertiggestelt werden. Über die Jahrzehnte empfahl Gregorovius seinen Freund immer wieder für Buchprojekte bei Cotta und Brockhaus, es vertiefte sich aber auch ihr persönliches Verhältnis. Am 28. Mai 1891 hielt sein lebenslanger Freund Rühl eine Gedächtnisrede auf Gregorovius in der Sitzung der Königlich Deutschen Gesellschaft in Königsberg (Ferdinand Gregorovius. Gedächtnisrede, gehalten in der Sitzung der Königl. Deutschen Gesellschaft in Königsberg am 28. Mai 1891). Nach dem Tod besorgte Rühl die von Gregorovius noch vorbereiteten Manuskripte für die Neuauflagen einiger seiner Schriften.

ich habe die Kunde von dem schweren Verlust erhalten, welcher Sie und vor allem Ihre Frau betroffen hat, da ihr der Tod die Mutter raubte. Ich nehme den Anteil des Freundes daran.

In Königsberg starb plötzlich Professor Bujack, wie mir dessen Kinder gestern gemeldet haben. Da ich deren Adresse nicht kenne, bitte ich Sie, das beiliegende Billet in ein Couvert zu legen, | 1vdieses an dendie SohnTochter Bujacks zu adressiren und ihmihr zukommen zu lassen. Sie scheint unverheiratet zu sein.

In meinem Hause sieht es nicht gut aus. Mein Bruder erholt sich von seiner schweren Krankheit so langsam, daß ich die Sorge um ihn nicht los werde. Dies war ein schrecklicher Winter. Ich selbst bin von der Influenza ergriffen; die wütendsten Kopfschmerzen machen mich zu jeder Arbeit untauglich. Der Geschwister wegen kann ich München nicht verlassen.

Ich hoffe, daß Sie den 4ten Band Rom in 4ter Auflage erhalten haben. Deren Vollendung werde ich kaum erleben.

Nun tausend herzliche Grüße und Wünsche für Sie und Ihr Haus.

In alter Freundschaft Ihr F. Gr.

Zitierhinweis: Ferdinand Gregorovius an Franz Rühl in Königsberg. München, 22. März 1891. In: Ferdinand Gregorovius. Poesie und Wissenschaft. Gesammelte deutsche und italienische Briefe (digitale Edition). Hrsg. von Angela Steinsiek. Deutsches Historisches Institut in Rom 2017–2023. URL: https://gregorovius-edition.dhi-roma.it/letters/ed_krm_s3y_3xb