München, 5. December 1875.
Ew. HochwolgeborenFriedrich Wilhelm Ritter von Hackländer (1816–1877) wuchs nach dem frühen Tod seines Vaters in ärmlichen Verhältnissen bei Verwandten auf. Er machte zunächst eine kaufmännische Lehre und ging 1832 zum Militär in Düsseldorf, doch entdeckte er bald seine Neigung zur Schriftstellerei. Nach einem Zusammentreffen mit Ferdiand Freiligrath (1810–1876) zog er 1840 nach Stuttgart. Beereits mit der Debüt-Publikation seiner humoresken und realistischen „Bilder aus dem Soldatenleben“ in Cottas „Morgenblatt für gebildete Stände“ hatte er einen so großen Erfolg, der ihn gesellschaftlich in andere Kreise brachte. 1840 bis 1841 unternahm Hackländer mit August Wilhelm Freiherr von Taubenheim (1805–1894), dem Oberstallmeister von Wilhelm I. von Württemberg (1781–1864), eine mehrmonatige Reise in den Orient, dessen literarischer Ertrag seine „Daguerreotypen“ (1842) waren, die unter dem Titel „Reise in den Orient“ in mehreren Auflagen nachgedruckt wurden. 1843 wurde er Hofrat und Sekretär des württembergischen Kronprinzen Karl Friedrich Alexander (1823–1891), den er 1843 bis 1846 auf zahlreichen Reisen durch Europa und Russland begleitete. 1849 wurde er für Cottas Zeitungen Kriegsberichterstatter in Italien. Als Direktor der königlichen Bauten und Gärten Württembergs (ab 1864) war er an der Gestaltung des Stuttgarter Schlossplatzes beteiligt. Mit dem Thronwechsel 1864 schied Hackländer aus dem Staatsdienst aus und lebte als freier Autor in Stuttgart und in Leoni am Starnberger See. 1860 wurde er als „Ritter von Hackländer“ vom österreichischen Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) in den erblichen Adelsstand erhoben. Seine zahllosen Erzählungen, Reiseschilderungen und Romane zwischen Humoreske und Zeitroman (u. a. 1850 „Handel und Wandel“) gehörten zeitweise zu den meistgelesenen literarischen Schriften Deutschlands. Posthum erschien seine Autobiographie „Der Roman meines Lebens“ (1878). Ausgesprochen erfolgreich waren auch die von ihm herausgegebenen Zeitschriften: Ab 1855 rief er mit dem Novellisten und Literaturkritiker Edmund Höfer (1819–1862) und dem Stuttgarter Schriftsteller, Bibliothekar, Journalisten und Übersetzer Edmund Zoller (1822–1902) die literarische Zeitschrift „Hausblätter“ (bis 1867) ins Leben, in denen auch Gregorovius einige Beiträge publizierte. Ab 1858 gründete Hackländer zusammen mit dem Stuttgarter Verleger und Buchhändler Eduard Hallberger (1822–1880) und Zoller die mit zahlreichen Holzschnitten versehene, ungemein erfolgreiche Wochenzeitschrift „Über Land und Meer“, deren Schwerpunkt auf reich illustrierten Reise- und Sittenschilderungen lag. Das großformatige Journal erschien bis 1923. Eine persönliche Begegnung von Gregorovius mit Hackländer ist nicht belegt – auch nicht bei Hackländers längerem Romaufenthalt im Jahre 1868. Vorliegender Brief von Gregorovius an Hackländer ist an dessen Funktion als Herausgeber der Zeitschrift „Über Land und Meer“ gebunden. In diesen Zusammenhang gehören auch die zwei Briefe von Gregorovius an Eduard von Hallberger (1822–1880) vom 19. November 1875 und 26. Dezember 1875 (siehe unten).
geehrtes Schreiben habe ich empfangen, und Ihrem Wunsche gemäß einen Brief des Verfaßers jenes in Rede stehenden Correspondenzartikels des Journals Über Land und MeerDer Artikel „Bilder aus der römischen Gesellschaft“ (in Über Land und Meer. Allgemeine Illustrirte Zeitung. Jg. 18. Bd. 35. Nr. 7. Stuttgart 1875. S. 134–135, https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11326208_00142.html?zoom=0.55) von dem Wiener Rechtsanwalt und Journalisten Emil Frischauer (1853–1913). Siehe den Brief von Gregorovius an Eduard Hallberger, den Redakteur der Zeitschrift, vom 19. November 1875. abgewartet, obwol ein solcher weder an der Thatsache selbst, noch an der Maßregel der Abwehr, welche mir diese auferlegt, etwas ändern kann. Der mir angekündigte Brief ist heute eingetroffen,Der Brief von Emil Frischauer an Gregorovius ist nicht nachweisbar. Siehe aber den derzeit (2021) vom Autographenhändler INLIBRIS angebotenen Brief vom 26. Dezember 1875 (1 Dbl., 8°, 1 S.) an den Redakteur von „Über Land und Meer“, Eduard von Hallberger (1822–1880), in dem Gregorovius schrieb: „Die große Menge am Jahresschluß sich aufhäufender Correspondenzen verhinderte mich, Ihnen früher für die Bereitwilligkeit zu danken, mit welcher Sie die von mir gewünschte Berichtigung in ‚Über Land und Meer‘ aufgenommen haben. Indem ich dies heute thue, ersuche ich Sie noch Herrn Frischauer mitteilen zu lassen, daß ich seinen an mich gerichteten Brief deshalb nicht beantwortet habe, weil ich nichts darauf zu sagen hatte und eine mir unangenehme Angelegenheit nicht weiter erwähnen wollte [...]“. weshalb ich jetzt an Sie schreiben darf.
Indem die einzige Rücksicht, welche ich in dieser häßlichen Angelegenheit nehmen durfte, Ihr Journal oder vielmehr dessen EigentümerDie mit zahlreichen Holzschnitten versehene Wochenzeitschrift, „Über Land und Meer“ war 1858 von dem erfolgreichen Autor Friedrich Wilhelm Hackländer als Herausgeber und dem Stuttgarter Verleger und Buchhändler Eduard Hallberger (1822–1880) gegründet worden. Thematisch lag der Schwerpunkt auf Reise- und Sittenschilderungen. Das ungemein erfolgreiche großformatige Journal erschien bis 1923. betraf, in ganz besonderer Erinnerung, daß ich die Ehre hatte, in Rom Ihrer Frau Gemalin bekannt zu werden,Seit 1849 war Hackländer mit der Tänzerin Caroline, geb. Opitz (1818–1900) verheiratet, mit der er drei Söhne und eine Tochter hatte, darunter den Maler Eugen von Hackländer (1850–1906). Im Februar 1868 hatte Hackländer mit seiner Frau Caroline eine Italienreise unternommen, bei der sie sich auch länger in Rom aufgehalten hatten. Über ein Zusammentreffen von Gregorovius und Caroline Hackländer in Rom gibt es keine Quellen. habe ich meinen Entschluß der reiflichsten Erwägung unterstellt. Noch heute habe ich den Vorfall dem wolwollensten und ruhigsten meiner Freunde vorgelegt, dem Freiherrn Adolf von Schack, und dieser, in die tiefste Verwunderung gebracht, ist der Ansicht, daß es | 1veine moralische Unmöglichkeit sei, eine so enorme Erfindung auf sich beruhen zu laßen. Erlauben Sie, sehr geehrter Herr, daß ich das Urteil Schacks nur zu Rate gezogen habe, um Ihnen persönlich den Beweis zu liefern, daß ich mit der äußersten Vorsicht mich zu entschließen gesonnen war und bin.
Ich würde über die Sache dahin gehen, beträfe sie mich allein: aber die gegen eine so hohe und so hochverehrte Frau gegangene Tactlosigkeit ist zu groß,In seinem Artikel „Bilder aus der römischen Gesellschaft“ (a. a. O.) hatte Emil Frischauer behauptet, Gregorovius werde von der Kronprinzessin Margherita von Savoyen (1851–1926, ab 1878 Königin von Italien) gesellschaftlich und persönlich derart verehrt und bevorzugt, dass sie ihn sogar schon persönlich in seiner römischen Wohnung besucht habe. als daß Sie selbst in Ihrem Gefühle für Wahrheit, Form und Sitte es zugeben können, daß ein Journal welches Ihren Namen trägt einen solchen Verstoß nicht auszumertzen suchen sollte, sobald er erkannt worden ist.
Demgemäß wiederhole ich meine Bitte um den schnellen Abdruck meiner Erklärung in Über Land und Meer,Eine Gegendarstellung hatte Gregorovius bereits mit seinem Schreiben vom 19. November 1875 an Eduard Hallberger verlangt und übersandt – der Abdruck war aber bislang unterblieben. sei es unter einer Fortsetzung jenes Artikels, wenn es solche gibt, | 2rsei es in irgend einer passenden Stelle. Um Ihnen dies zu erleichtern würde ich Ihnen folgendes vorschlagen: Unter den in Ihrem Journal ständigen Rubrik „Literatur und Kunst“ (wenn ich nicht irre, lautet sie so) folgendes einrücken zu laßen:Die von Gregorovius vorgeschlagene Formulierung erschien fast wortgleich in „Über Land und Meer“ (Jg. 18. Bd. 35. Nr. 13. Stuttgart 1875. S. 255).
Von der italienischen Übersetzung der Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter von Gregorovius, welche durch mit Unterstützung des Stadtraths von Rom in Venedig gedruckt wird, ist der siebente Band erschienen. Die Redaction von Über Land und Meer bemerkt bei Gelegenheit dieser Notiz, daß sie sich veranlaßt sieht zu erklären, daß die in dem kürzlich in unserem Journal gem veröffentlichten Artikel numero 1. der Bilder aus der römischen Gesellschaft gemachten Mittheilungen über die von Herrn Gregorovius durch hochgestellte Personen empfangenen Auszeichnungen vollkommen auf Erfindung beruhen.
Mögen Sie demnach zwischen einer und der anderen Erklärung die Wahl treffen; in einer oder der anderen Faßung aber muß sie veröffentlicht | 2vwerden, und ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie die Notwendigkeit davon erkennen werden.
Ich schließe mit dem lebhaften Bedauern, daß es keine glücklichere Angelegenheit war, welche mir die Ehre verschaffte, mit Ihnen in die erste persönliche Beziehung zu treten, und empfehle mich
voll Hochachtung ergeben
Ferd. Gregorovius.