München, 8. August 63.
Hochverehrter Herr,
ich habe das gefällige Schreiben der J. G. Cotta’schen Buchhandlung hier richtig empfangen, und ersehe daraus, daß dieselbe, obwol ungern, wie es scheint, mir die Einwilligung zur Vermehrung der Geschichte der Stadt Rom um einen (siebenten) Band erteilt, in dem Falle, daß sich die Notwendigkeit dazu herausstellen sollte.Siehe den Brief von Gregorovius an Louis Roth vom 24. Juni 1863. Der Prokurist des Cotta-Verlags hatte Gregorovius am 18. Juli 1863 darauf geantwortet: „Ihre Mittheilung […] statt der ursprünglich verabredeten 6 Bände, nunmehr 7 Bände zu geben, ist uns nicht ganz angenehm, insofern dadurch der Preis des Buches nothwendig erhöht, wohl auch die Vollendung derselben etwas verzögert wird. Indessen wenn Ihnen diese Werkwirkung einmal nothwendig erscheint, so können wir sie unmöglich verweigern, da natürlich die Hauptsache ist, daß das Buch möglichst gut u. in möglichst gleichmäßigem Charakter herzustellen. Wenn sich also bei der Ausarbeitung wirklich die Nothwendigkeit eines siebenten Bandes ergeben sollte […] so ertheilen wir hiermit zum Voraus unsere Einwilligung.“ (DLA Marbach, Cotta-Archiv, Kopirbuch V, S. 485)
Ich sehe dieses freilich als wahrscheinlich an, bei dem großen Anwachs des Materials gerade für die Epoche, welche der Band V umfaßen soll; und ich wiederhole, daß es bedauerlich und mehr als dies, unverzeihlich wäre, wenn ich einen so reichhaltigen Stoff nicht dem Charakter des Ganzen gemäß verarbeiten dürfte. Auch dürften 7 Bände für die Geschichte Roms in elf langen Jahrhunderten nicht zu viel sein,Seine schließlich auf acht Bände anwachsende „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ (1859–1872) beginnt mit dem Einzug des weströmischen Herrschers Flavius Honorius (384–423) in Rom Ende 403/Anfang 404 und endet mit dem Sacco di Roma, bei dem ab dem 6. Mai 1527 es zur Plünderung Roms und des Kirchenstaats sowie zu Gewaltexzessen durch deutsche Landsknechte und spanische sowie italienische Söldner Karls V. (1500–1558) gekommen war. wenn man bedenkt, wie bändereiche Werke über einzelne Epochen in der Geschichte, ja über einzelne Personen, geschrieben werden. Es ergibt sich zur Genüge die Verkaufsfähigkeit unseres Werkes, | 1vwelchem, wie ich erkenne, eine geachtete Stellung in der Literatur bereits gesichert ist.
Ich selbst entschließe mich ungern, die Arbeitslast, die ich auf mich genommen habe, zu vergrößern, denn ich kann fast sagen, daß ich mein Leben an dieses Werk setze, welches ich gern in der mir irgend möglichen Vollendung hinterlaßen möchte. Ich würde wol zufrieden sein, wenn ich mit dem Bande VI abschließen könnte, und vielleicht gelingt es mir die letzten Epochen des Mittelalters der Stadt, welche nicht mehr die Bedeutung noch das Interesse des XIII, hohenstaufischen,Das schwäbische Adelsgeschlecht, das vom 11. bis zum 13. Jahrhundert mehrere römisch-deutsche Herzöge, Könige und Kaiser hervorbrachte (Konrad III., Friedrich I. Barbarossa, Heinrich VI., Philipp von Schwaben, Friedrich II., Konrad IV., Manfred und Konradin). und des XIV, avignonischen JahrhundertsZwischen 1309 und 1377 hatten sieben Päpste ihren Sitz in Avignon. haben, darin zusammenzuziehen.Schließlich endet der fünfte Band (1865) mit dem durch das französisch dominierte Kardinalskollegium zum Papst gewählten Erzbischof von Bordeaux als Clemens V. (zwischen 1250 und 1265–1314) im Jahre 1305. Doch dies werde ich erst später erkennen.
Aus der Notiz über den Verkauf des Buches Corsica, welche Sie mir freundlich haben ausziehen laßen, ist mir eine bittere Täuschung erwachsen.Dem Brief von Roth an Gregorovius vom 18. Juli 1863 hatte der Verlag eine Übersicht des Absatzes seines „Corsica“ (2 Bde. Stuttgart: Cotta 1854) beigefügt, wonach von 1854 bis 1862 von insgesamt 1.200 Exemplaren 846 Exemplare verkauft worden waren (DLA Marbach, Cotta-Archiv, Cotta-Briefe, 56a). Im Jahre 1860 wurde mir der Betrag der davon verkauften Exemplare obenhin auf 900 angegeben. Es war dies also ein Irrtum.Siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 20. Dezember 1861; auf der Rückseite des Briefes hatte der Verlag für die ersten drei Bände seiner „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ (1859–1860) zwischen 500 und 600 verkaufte Exemplare dokumentiert; der Verkauf von „Corsica“ war bis Ende 1861 mit 806 Exemplaren angegeben worden. Wir alle werden uns verwundern müßen, daß ein Buch, dessen Wert im In- und Auslande allgemein anerkannt ist, in Deutschland sich nicht [hat] ausverkaufen können, während in England und Amerika davon Tausende von Exemplaren in der Über-| 2rsetzung verbreitet worden sind.Es waren bald nach dem ersten Erscheinen drei englischsprachige Übersetzungen gedruckt worden: „Corsica in its Picturesque, Social, and Historical Aspects. The Record of a Tour in the Summer of 1852“ (Translated by Russell Martineau. London: Longman, Brown, Green 1855) – „Wanderings in Corsica: Picturesque, Historical and Social. With a Sketch of the Early Life of Napoleon, and an Account of the Bonaparte, Paoli, Pozzo Di Borgo, and other Principal Families. Suggested by a Tour in the Island in 1852“ (Translated by Edward Joy Morris. Philadelphia: Parry & M’Millan 1855) – „Wanderings in Corsica: Its History and its Heroes“ (Translated by Alexander Muir. 2 Bde. Edinburgh: Constable and Co. 1855). Herr Russell-Martineau, welcher davon die beste englische Übersetzung machte,Der aus Dublin stammende Orientalist Russell Martineau (1831–1898) hatte die Edinburgher Übersetzung von „Corsica“ besorgt. erzählte mir in Rom, daß in wenig Monaten nach dem Erscheinen derselben 1500 Exemplare abgesetzt wurden.Russell Martineau hatte Gregorovius auch berichtet, dass die Hälfte der Auflage von 3.000 Exemplaren bei Longman in London verbrannt sei (siehe RT, 20.4.1863, S. 160). In demselben Verhältniß sind die andern beiden Übersetzungen verkauft worden.
Ich betrachte als ein Hinderniß des Buches in Deutschland das Format seiner Ausstattung, welches nicht ansprechend genug ist, und ihm einen zu schwerfälligen Charakter verleiht.Gregorovius hatte sich schon seinerzeit bei Johann Georg von Cotta von Cottendorf (1796–1863) beschwert, dass sein „Corsica“ als Teil der „Sammlung Reisen und Länderbeschreibungen der älteren und neuesten Zeit“ gedruckt wurde (siehe den Brief von Gregorovius an Cotta vom 20.5.1853). Am Preise liegt es sicherlich nicht, welchen die Buchhandlung doch höchst billig gestellt hat. Ich denke darüber nach, wie nun diesem Buche könnte Leben von neuem eingeflößt werden, oder ich erlaube mir, Sie geehrter Herr, zu bitten, sich desselben anzunehmen, ob vielleicht sich ein Mittel auffinden ließe, ihm fortzuhelfen. Vielleicht opfern Sie, wenn der Verkauf die Zahl 1000 erreicht, die übrigen Exemplare, und machen dann eine angemessenere Edition.Eine selbständige, veränderte Neuauflage erschien erst 1869. Von den „Figuren“, einer Sammlung kleiner, meist in der Allgemeinen Zeitung erschienener Artikel, welche nicht im Entferntesten den Wert von Corsica haben, wird jetzt die zweite Ausgabe gedruckt.Die zweite Auflage seiner „Figuren. Geschichte, Leben und Scenerie aus Italien“ (1856) erschien 1864 bei Brockhaus in Leipzig als erster Band unter dem Reihentitel „Wanderjahre in Italien“.
Ich zeige den Empfang von 18 Florins als Honorar für Artikel an, und spreche mein | 2vBedauern aus, daß die angestrengte Arbeit für die Geschichte der Stadt, mich hindert, mehr für die Allgemeine Zeitung zu schreiben.Im vorangehenden Schreiben an Gregorovius hatte Roth bedauert, dass das Honorar für die Artikel des vergangenen Halbjahrs nicht höher ausgefallen war (18.7.1863, DLA Marbach, Cotta-Archiv, Kopirbuch V, S. 485). Die Honorarabrechnung des Verlags war ihm am 3. August 1863 zugesandt worden (DLA Marbach, Cotta-Archiv, Kopirbuch V, S. 486). Zuletzt war von Gregorovius ein Nachruf des am 25. Mai 1863 in Rom plötzlich an einem Gehirnschlag verstorbenen norwegischen Historikers Peter Andreas Munch (*1810; siehe RT, 17.5.–24.6.1863. S. 160–162) in der „Allgemeinen Zeitung“ erschienen (Nr. 160. Augsburg: Cotta 9.6.1863. S. 2641–2642).
Ich bin auf der hiesigen Bibliothek noch den ganzen August über beschäftigt.Gregorovius blieb bis zum 30. August 1863 in München. Nach einer einwöchigen Reise nach Bad Reichenhall, Berchtesgaden und Salzburg kehrte er am 5. September 1863 für weitere fünf Tage nach München zurück (siehe RT, 1.–9.9.1863, S. 166–167).
Mit großer Hochachtung wünsche ich, sehr geehrter Herr, Ihnen empfohlen zu sein
F. Gregorovius.